Aristides de Sousa Mendes do Amaral
Wer ein Leben rettet, rettet die Welt
Aristides de Sousa Mendes do Amaral e Abranches wurde am 19. Juli 1885 in Cabanas de Viriato
(Landkreis Carregal do Sal, 30 km von Viseu entfernt) geboren.
Die Familie gehörte zur katholischen monarchistischen Aristokratie. Der
Vater José de Sousa Mendes war Richter im nahegelegenen Coimbra.
Aristides Mendes studierte gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder César Jura in Coimbra.
1907, mit 22 Jahren beendete Aristides das Studium und zog mit seinem Zwillingsbruder nach Lissabon.
Cesar begann eine Karriere im diplomatischen Dienst, während Aristides 1910 in Britisch-Guayana die Laufbahn eines Konsuls einschlug.
Cesar brachte es bis zum Außenminister Salazars und war später Botschafter in Warschau.
Während Cesar als Diplomat die politischen Interessen seiner Regierung gegenüber einer anderen
Regierung zu vertreten hatte,
war Aristides als Konsul im Rahmen einer Auslandsvertretung vor allem den Interessen der Portugiesen im jeweiligen Land
verpflichtet.
Einige der Stationen Aristides waren die Konsulate in Britisch-Guayana, Galizien, von 1911 - 1918 Sansibar,
Curitiba in Brasilien, Luxenburg und Belgien.
Im Jahre 1908 starb der König D. Carlos und sein Sohn und Nachfolger bei einem Attentat in Lissabon.
Zwei Jahre später endete die Monarchie in Portugal, am 5. Oktober 1910 wurde die Republik ausgerufen.
Vom 5. Dezember 1917 bis zu seinem Tode 1918 bei einem Attentat war Sidónio Pais als Militärdiktator Regierungschef Portugals.
Er widersetzte sich den Evolutionisten und Monarchisten.
Im Oktober kam es in mehreren Städten zu Generalstreiks und Unruhen. Im Norden des Landes übernahm eine
monarchistisch eingestellte Militärjunta die Macht. Sidónio Pais eilte zu Verhandlungen mit den Monarchisten nach Nordportugal,
um einen Bürgerkrieg zu verhindern.
Einige Quellen führen politische Gründe an,
andere erwähnen
Korruptionsvorwürfe (Veruntreuung von Geldern), dass
Aristides im Jahre 1919 in Curitiba (Brasilien)
in den vorzeitigen Ruhestand versetzt wurde. Aristides rechtfertigte sich:
er hätte seine Familie ernähren müssen und die
eigenen Mittel seien nicht ausreichend genug gewesen.
Zwei Jahre später, nachdem sich sein Bruder Cesar, der
zur gleichen Zeit in Brasiliens Botschaft tätig war, für ihn eingesetzt hatte, wurde er wieder in den konsularischen Dienst aufgenommen.
Wenn man berücksichtigt, dass Cesar nie Repressalien erlitten hat, aus der gleichen Familie wie Aristides stammte und
General Sidónio Pais schon
1918 einem Attentat zum Opfer fiel, kann man selbst entscheiden, ob ein politisches oder finanzielles Versehen
der wahre Auslöser gewesen war. Bekannt ist, dass die Vorwürfe und das Misstrauen seiner Vorgesetzten mit dem nicht autorisierten
Verlassen des
Konsulats im damaligen britischen Protektorat Sansibar begannen, eine Aktion die Aristides mit
gesundheitlichen Problemen seiner Familie in diesem Land begründete (Malaria) und demnach keine politische Ursache hatte.
Nach seiner Rückberufung wurde Aristides als zeitweiliger Konsul und mit eingeschränkten
Bezügen nach San Francisco beordert. Dort soll es zu einem weiteren Zwischenfall gekommen sein. Der Konsul Aristides verlangte demnach
neben den normalen Bearbeitungsgebühren zusätzlich Zahlungen für einen privaten "Hilfsfond für Kriegswaisen".
Er wurde wieder versetzt, zurück nach Brasilien,
São Luís do Maranhão im Norden des Landes, kurz darauf nach Porto Alegre im Süden.
1926 reiste er nach Portugal und arbeitete im damaligen Diplomatischen Amt für Handels-und Konsularangelegenheiten.
Im Mai 1926 putschte sich eine Militärdiktatur unter General Manuel Gomes da Costa an die Macht,
im Juli folgte der nächste Putsch unter
General General António Fragoso Carmona.
Im gleichen Jahr wurde Aristides zum Konsul in
Vigo, Spanien ernannt.
1928 erschien Salazar als Finanzminister der Militärdiktatur auf der Politbühne. Im Juli 1932 ernannte ihn Carmona zum Premierminister.
Salazar verkündete den Estado Novo, den "Neuen Staat", eine konservativ-autoritäre Diktatur.
1929 reiste Aristides als Generalkonsul nach Antwerpen, Belgien. Dort erhielt er den Leopoldsorden in Anerkennung seiner Verdienste
und wäre gern weiterhin in diesem Land geblieben.
Doch 1938 ernannte ihn die Regierung Salazar zum Generalkonsul in Bordeaux, Frankreich.
1939 begann der 2. Weltkrieg.
Ein Jahr nach Studienabschluss heiratete Aristides de Sousa Mendes seine Cousine Maria Angelina und hatte mit ihr 14 Kinder.
Sie erbte
das imposante Herrenhaus
Casa do Passal auf dem Gelände der
Quinta de São Cristóvão im Ort Cabanas de Viriato.
In den 20-iger Jahren wurde das Haus wegen der großen Kinderschar erweitert
und hauptsächlich als Sommerresidenz genutzt.
Aristides befand sich stets in finanziellen Schwierigkeiten, überliefert sind zahlreiche Anträge an das
Außenministerium gerichtet, in denen er um Erhöhung seiner Bezüge bittet.
Andererseits hatte er die Mittel, in Belgien ein originalgetreues Abbild des
"Cristo Rei" von Rio de Janeiro aus Granit anfertigen und per Schiff nach Portugal transportieren zu lassen.
Sie befindet sich heute noch auf einer kleinen Anhöhe
auf dem Gelände der Quinta de São Cristóvão in Cabanas de Viriato.
Die Familie war sehr religiös. So erinnern sich ehemalige Nachbarn an
die Ferienzeit, wenn die große Familie samt Hausangestellten eintraf, Eltern und Kinder Hausmusik
machten und die Messe besuchten.
Wegen der damals üblichen Klassenunterschiede hatten die Einwohner von Cabanas de Viriato
mit der aristokratischen Familie wenig Umgang.
Und doch nahmen sie Anteil, als Aristides Jahre später aus dem diplomatischen
Dienst ausschied und nach dem Tod seiner
Frau Angelina mit seiner zweiten Frau und früheren Geliebten Andrée Cibial in Cabanas de Viriato auftauchte.
Diese Französin war bei der Dorfbevölkerung unbeliebt, und wurde wegen der
extravaganten Federn am Hut respektlos "Penucha" (Maiskolben) genannt.
Die Zeiten, als das Haus voller Musik, Kinder,
Frohsinn und Traditionen war, schien vorbei.
In den folgenden Jahren bekam das Dorf mit, dass Aristides schwer krank wurde und verarmte.
Unterstützung soll Aristides nur von der Jüdischen Gemeinde in Lissabon erhalten haben, wo er in einer kleinen Wohnung lebte.
Ohne finanzielle Rücklagen und das Herrenhaus mit Hypotheken belastet, starb Aristides de Sousa
Mendes im Jahre 1954. Das Haus verfiel.
In der Zwischenzeit soll dort ein Hühnerstall untergebracht gewesen sein, später war ein Hotel
geplant.
Im März 2001 wurde das Anwesen von der Stiftung "Aristides de Sousa Mendes" für 640.000 Euros
(Entschädigungssumme des portugiesischen Staates von 75.000 Euros inbegriffen) erworben. Es soll in
naher Zukunft restauriert und
in ein Museum zum Andenken an Aristides Sousa Mendes und "Zentrum der Menschenrechte" umgewandelt werden.
Vor dem 17. Juni 1940
1940 war ein großer Teil Europas von Nazideutschland besetzt und viele Menschen versuchten verzweifelt aus Europa zu entkommen.
Sie versuchten im damaligen, noch nicht okkupierten Gebiet Frankreichs ein Einreisevisum über Spanien nach Portugal zu bekommen.
Das portugiesische Konsulat in Bordeaux wurde Augenzeugen zufolge von den Flüchtlingen förmlich überrannt.
Die Situation spitzte sich zu, als
am 13. November 1939 der portugiesische Diktator Salazar in einem Rundschreiben (Circular 14 genannt) allen portugiesischen
Diplomaten ausdrücklich untersagte, Visa für "Ausländer, deren Nationalität unbekannt, verworfen oder rechtsstreitig ist;
Staatenlose; Juden, die aus ihrem Herkunftsland oder wo sie untergekommen waren, vertrieben wurden" auszustellen.
Am 14. Juni 1940 marschierten deutsche Truppen in Paris ein, worauf Salazar die schon zuvor eingeschränkten Einreisevorgaben
um den Zusatz verschärfte,
dass nur noch diejenigen, die ein Visum für ein Land außerhalb Europas besaßen, in Portugal einreisen durften.
In den ersten 10 Junitagen wurden im portugiesischen Konsulat 59 Visa ausgestellt, alle legal, alle gebührenpflichtig.
Es wird berichtet, dass Sousa Mendes in diesen Tagen Flüchtlinge mit Geld oder bekannten Namen bevorzugte.
Am 11. Juni wurden 67 Visa ausgestellt, am 12. Juni waren es 47, am 13. Juni nur noch 6, denn Aristides lag erschöpft
in einem abgedunkelten Raum, am 16. Juni, einem
Sonntag wurden 40 Visa ausgestellt, unter anderem für den Banker und französischen Senator Maurice Rothschild samt Familie,
der nicht bis Montag warten wollte.
In Dokumenten mit dem Siegel des Generalkonsulats der
Portugiesischen Republik, heißt es unter anderem in einem Visa für Otto von Habsburg:
"Die portugiesische Regierung bittet die spanischen
Behörden um die Gefälligkeit, dem Träger dieses Dokumentes die freie Durchreise
durch Spanien zu gewähren. Der Betreffende ist Flüchtling vor dem europäischen
Konflikt und befindet sich auf der Weiterreise nach Portugal."
Die britische Botschaft beschwert sich, dass der portugiesischen Konsul außerhalb der Öffnungszeiten Visa ausstellt.
Und sie hatten wohl auch Wind davon bekommen, dass Sousa Mendes vor dem 17. Juni von
reichen Flüchtlingen mehr als normale Bearbeitungsgebühren verlangte, auch als Einzahlungen in einen privaten Hilfsfond bezeichnet.
Anschuldigungen: Visa gegen Einzahlungen in privaten Hilfsfond
Quelle: www.vidaspoupadas.idiplomatico.pt
Gottes Stimme
Dann geschieht das Unerwartete:
am 17. Juni entschließt sich Aristides Angesicht der anwachsenden Flüchtlingswelle allen zu helfen und
auf Gebühren, Schmiergelder und Bürokratie zu verzichten.
Niemand, außer ihm selbst kann erklären, was ihn zu dieser Handlungsweise veranlasst hat. Es ist anzunehmen, dass
sein katholischer Glaube eine Rolle gespielt hat.
Einer seiner Söhne, Pedro Nuno, berichtet:
sein Vater habe gesagt, dass er im Unterbewusstsein eine Stimme der
Verantwortung, vermutlich die Gottes gehört habe: "Steh auf und gib allen Visa, ohne Ausnahme".
Dann bekannte er:
"Ich weiß nicht, was die Zukunft für eure Mutter bereithält, für euch und für mich.
Materiell wird sie nicht so gut sein, wie zurzeit. Dennoch, wir wollen mutig sein und uns bewusst, wenn wir diesen
Flüchtlingen eine Chance geben, besteht für uns die Hoffnung, in Gottes Reich aufgenommen zu werden.
Denn was wir tun, ist nichts anderes, als die Gebote Gottes zu befolgen".
Er öffnete die Tür zur Straße, sah die Menschenmenge, die wartete und sagte zu dem Nächststehenden: "Quero dizer-vos que a partir de
agora vocês vão receber vistos. Vocês e todos".
(Ich will euch sagen, dass ich ab jetzt allen ein Visum ausstelle. Für Sie und alle).
Es wird Tag und Nacht in fliehender Hast unterschrieben und gestempelt. Sousa Mendes weiß,
dass er nicht viel Zeit hat und dass jedes Visa ein gerettetes Menschenleben bedeutet.
Die Nachricht, dass der portugiesische Konsul jedem Visa ausstellt, verbreitet sich unter den Flüchtlingen wie ein Lauffeuer.
An diesem 17. Juni 1940 teilt Aristides mit
"Von nun an werde ich allen ein Visum geben, es gibt keine Nationalitäten, Rassen, Religionen mehr. [...] Ich kann nicht zulassen, dass alle diese Menschen umkommen. Viele von ihnen sind Juden, und in unserer Verfassung steht eindeutig, dass Ausländern weder aufgrund ihrer Religion noch ihrer politischen Überzeugung der Aufenthalt in Portugal verweigert werden darf.
Ich habe beschlossen, diesem Prinzip treu zu sein, werde aber nicht zurücktreten. Ich kann dem christlichen Glauben, dem ich angehöre, nur treu bleiben, wenn ich so handle und der Stimme meines Gewissens folge."
Aristides Sousa Mendes befand sich in einem schweren Gewissenskonflikt. Er wusste, was mit den verzweifelten Flüchtlingen geschieht,
wenn sie kein Visum erhalten. Er kannte auch die Spielregel, dass er als Beamter und Befehlsempfänger Portugals
den Anordnungen Salazars und der Regierung Rechenschaft ablegen musste.
Dennoch entschied er sich für ein riskantes Vorgehen: er ignorierte Salazars Anweisungen und
stellte ab dem 17. Juni aus humanitären Gründen ausnahmslos jedem ein
Visum aus, ungeachtet der Nationalität, Rasse oder Religion und begann
die größte Rettungsaktion, die im 2. Weltkrieg von einem einzelnen Menschen durchgeführt wurde.
Auf diese Weise konnten viele
Flüchtlinge über Spanien
nach Portugal einreisen und von den Häfen Portugals aus nach Übersee fliehen.
Und Aristides Sousa Mendes ging in seinen Bemühungen noch weiter. Er stellte auch dem französischen Konsul in
Toulouse eine Vollmacht zur Ausstellung von portugiesischern Visa aus und reiste persönlich zum portugiesischen Konsulat
in Bayonne, wo er anwies,
ebenfalls jedem Flüchtling Visa zu geben.
Laut der Konsulatslisten in Bordeux haben er und sein Sekretär zwischen 1. Januar und 22. Juni 1940 insgesamt 2.850 Visa (andere Quellen beziffern die Zahl auf 2245)
unterschrieben. Dazu kommen die Visa von Bayonne und Toulouse. Selbst wenn man davon ausgeht, dass in einem Pass oftmals mehrere
Personen eingetragen waren, erscheint die von zahlreichen Quellen geschätzte Zahl von 300.000 geretteter,
davon 10.000 jüdischer Menschen exorbitant hoch. Dennoch schmälert die in späteren Jahren inflationierte Zahl nicht,
was Aristides Sousa Mendes getan hat:
er ist seinem Herz und seinem Glauben gefolgt, wissend, dass es in seiner Hand lag, Menschen in extremer Not zu helfen.
Jedes einzelne gerettete Leben verdient demjenigen gegenüber, der es gerettet hat, die gebührende Hochachtung.
Im Juli 1941 schreibt Aristides nach dem administrativen Gerichtsverfahren in Lissabon seinem Anwalt Dr. Palma Carlos
"Es ist wahr, ich habe den Gehorsam verweigert, aber diese Ablehnung macht mich nicht ehrlos. Ich habe die Anweisungen
nicht befolgt, denn sie bedeuteten aus meiner Sicht die Verfolgung von wahren Schiffbrüchigen,
die sich um jeden Preis vor Hitlers Raserei retten wollten.
Über den Befehlen stand für mich stets Gottes Wille und das war es, was ich ohne zu zögern und ohne feige zu sein, befolgen musste.
Der wahre Wert der christlichen Religion ist die Nächstenliebe und ich, ein Christ, habe dies beherzigt."
Konsequenzen
In diesem Telegramm ans Außenministerium (1.07.1940) beschreibt der Abgesande Portugals Lopo Simeão die Situation in Bordeaux:
"Tragische außergewöhnliche Umstände rechtfertigen die Maßnahmen .... Menschenmassen in Panik [...]
verstopfte Straßen um das Konsulat [...] kein Durchkommen [...] Spanischer Konsul verlangt ein Ende der Vorfälle [...]
Konsul in Bayonne wurde von Sousa Mendes angwiesen, ohne Gebühren und Wartezeiten Visa auszustellen [...]
Visa werden ohne Gebühren ausgestellt, zum Schaden des Staates [...] da nicht möglich die Vorschriften zu befolgen,
trotz Aufstockung des Personals."
Quelle: www.vidaspoupadas.idiplomatico.pt
Salazar versucht mit diplomatischer Neutralitätspolitik den Alliierten und
Achsenmächten Konzessionen zu machen, ohne sich auf eine der Seiten zu stellen.
Am 20. Juni 1940 erfährt Salazar von dem Ungehorsam seines Botschafters in Bordeaux.
Die angestrebte Neutraliät seines Landes war mithin in Frage gestellt.
Zuerst wird Aristides verboten, weiterhin Visa auszustellen. Dazu sei nur noch der Konsul von Bayonne berechtigt.
Telegramm jagt Telegramm und am 24. Juni
wird Aristides de Sousa Mendes aufgefordert, umgehend nach Portugal zurückzukehren. Dort erwartet ihn am 4. Juli
1940 ein Disziplinarverfahren.
Rückkehr nach Portugal, 24. Juni 1940 und Disziplinarverfahren, von Salazar persönlich unterschrieben
Quelle: www.vidaspoupadas.idiplomatico.pt
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